Streetwork in Düren 6. Februar 2017 | georg.schmitz Auf unser Drängen hin gibt es seit gut zwei Jahren einen Streetworker in Düren. Anlässlich der aktuellen Diskussion möchten wir seine Arbeit hier einmal vorstellen. Der leicht gekürzte Lagebericht für die Sitzung des Haupt- und Personalausschuss am 27.01.2017: Zum 01. Oktober 2014 wurde der Arbeitsbereich Streetwork beim Jugendamt (wieder) eingerichtet. Am 17. November 2014 wurde das Jugendamt beauftragt, einen Antrag zur Teilnahme am ESF-Modellprogramm „Jugend Stärken im Quartier“ für den Förderzeitraum 2015-2018 zu stellen. Bestandteil des Antrages war u.a., die Personalkosten des Streetworkers mit einem Beschäftigungsumfang von 100% als geldwerte Leistung in das Projekt einzubringen. Seit 01. Januar 2015 setzt der Streetworker den Methodenbaustein „Aufsuchende Jugendsozialarbeit“ im Projekt JUST-Nord für das Fördergebiet Düren Mitte/Nord in enger Zusammenarbeit mit dem Kooperationspartner Sozialwerk Dürener Christen um. Damit wird gewährleistet, dass neben der Arbeit auf der Straße, gemeinsam mit den Jugendlichen und jungen Erwachsenen Perspektiven auch hinsichtlich beruflicher Qualifikation und persönlicher Weiterentwicklung umgesetzt werden können. Verortet ist das Projekt in den Räumlichkeiten der Josef-Schregel-Str. 40. Das Jugendamt orientiert sich bei der Konzeptionierung und Ausgestaltung des Arbeitsbereichs Streetwork im Wesentlichen an den gesetzlichen Vorgaben des SGB VIII §13, den mitentwickelten Fachlichen Leitlinien der LAG Streetwork/Mobile Jugendarbeit NRW e.V., sowie den langjährigen Erfahrungen in diesem Arbeitsfeld. Bereits im Jahr 1985 richtete die Stadt Düren als eine der ersten Kommunen in NRW den Arbeitsbereich Streetwork ein. In der Folgezeit trug der Dürener Streetworker durch seine aktive Mitarbeit im AK Streetworker Rheinland maßgeblich zur Qualitätsentwicklung des Arbeitsbereichs auch über Stadtgrenzen hinaus bei. Darüber hinaus leistete er als Gründungsmitglied der Landesarbeitsgemeinschaft Streetwork/ Mobile Jugendarbeit NRW e.V. seit 1995 eine zehnjährige Vorstandsarbeit. Der Arbeitsansatz Streetwork, der im Auftrag des Jugendamtes durchgeführt wird, richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 27 Jahren, die als Einzelpersonen, Gruppen oder Szenen im öffentlichen Raum anzutreffen sind. Diese haben häufig besonderen Unterstützungsbedarf und werden von anderen Angeboten des Hilfesystems nicht oder nicht mehr erreicht. Darüber hinaus sind sie oftmals aufgrund der öffentlichen Wahrnehmung von Dissozialität, Alkohol- und Drogenkonsum von Ausgrenzung und Stigmatisierung bedroht. Die Umsetzung der aufsuchenden Jugendsozialarbeit bedeutet, dass die Angebote an den Lebenswelten der betreffenden Jugendlichen orientiert sind. Die Zielsetzung bezieht sich auf die Gesamtintension des § 13 SGB VIII, nämlich die berufliche und soziale Integration sozial benachteiligter und individuell beeinträchtigter junger Menschen! Ein Aspekt, der hinsichtlich der Teilnahme des Jugendamtes am ESF Programm „ JUGEND STÄRKEN – im Quartier“ an Plausibilität gewonnen hat. Hier greift die aktuelle Streetworkarbeit auf bewährte Strukturen zurück, welche in den vielen Jahren der praktischen Umsetzung entwickelt wurden. Im Sinne einer Weiterentwicklung des Arbeitsbereichs können so die bereits gewonnenen Erfahrungen um den Aspekt einer zielgerichteten beruflichen und sozialen Integration ergänzt werden. Streetwork versteht sich als aktivierende und ressourcenorientierte Sozialarbeit und bietet keine fertigen Lösungen an. Ziel ist die Erweiterung von Sozialkompetenzen, wie z.B. Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, Beziehungsaufbau und –pflege sowie Entwicklung und Realisierung individueller Lebensperspektiven. Streetwork sieht sich in der täglichen Arbeit mit einem Personenkreis konfrontiert, der Behörden meist nur in ihrer regulierenden Form erlebt haben. Die Folge ist meist ein manifestiertes Misstrauen, dem u.a. durch die Wahrung von Anonymität und Freiwilligkeit Rechnung getragen wird. Streetwork ist langfristig angelegt und verfolgt einen bedürfnisorientierten Ansatz. Das Jugendamt verfolgt mit der Streetworkarbeit eine pädagogische Aufgabenstellung und bietet weitergehende Hilfen (Unterstützung bei Behördenangelegenheiten, Finanzen, Wohnungssuche, Arbeitsplatzsuche und psycho-sozialen Problemen) für den Personenkreis an. Das tangiert sicherlich auch ordnungspolitische Aufgaben, die es gesamtstädtisch zu lösen gilt. Etwaige Erwartungen, problematische Zielgruppen durch diesen Arbeitsansatz situativ so zu erreichen, dass Konflikte auf der Straße unmittelbar befriedet werden oder öffentliche Räume von diesen Gruppen gar ganz befreit werden, sind in diesem Zusammenhang unangemessen. Favorisiert wird die Vernetzung mit Ordnungsbehörden sowie Anbietern der Jugendhilfe, Jugendberufshilfe und Drogenhilfe, um administrative Abläufe und Hilfsangebote im Sinne der Klienten zu optimieren. Hier greift der Streetworker auf ein enges Netz von Kooperationspartnern zurück, da das System sozialer Hilfen in Düren engmaschig und breit aufgestellt ist. Insbesondere ist auch die enge Vernetzung mit den sozialen Diensten des Jugendamtes sowie der Jugendgerichtshilfe gegeben. Bei der Umsetzung der Streetwork-Arbeit (SW) werden folgende Prinzipien gewahrt: Niederschwelligkeit: Damit Adressaten die Angebote von SW ohne Vorbedingungen und Vorleistungen in Anspruch nehmen können, sorgt die Fachkraft dafür, dass Zugangsmöglichkeiten, Orte und Methoden den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Adressaten entsprechen, d.h. beispielsweise Ortsnah und zeitlich flexibel. Freiwilligkeit: Die Kontaktaufnahme und Mitarbeit erfolgt grundsätzlich auf freiwilliger Basis. SW unterbreitet wiederkehrende Kontakt- und Beziehungsangebote. Das Klientel wird regelmäßig an den jeweiligen Treffpunkten im Innenstadtbereich aufgesucht. Akzeptanz: Die Fachkraft orientiert sich an der Lebenswelt der Adressaten und geht offen und respektvoll mit ihnen um. Dabei nimmt sie eine akzeptierende Haltung gegenüber der individuellen Lebensgestaltung der Adressaten ein, bei gleichzeitiger kritischer Betrachtungsweise der gewählten Lebensstrategie. Vertraulichkeit In der praktischen Arbeit wird auf Wunsch die Anonymität der Adressaten gewahrt und Informationen werden vertraulich behandelt. Dabei macht die Fachkraft gesetzliche Grundlagen bzgl. Datenschutz und Schweigepflicht transparent. Kontinuität: Auf der Beziehungsebene bietet SW den Adressaten verlässliche und professionelle Beziehungs- und Kontaktangebote an. SW bietet personelle Kontinuität, um stabile Beziehungsarbeit zu gewährleisten und räumliche Kontinuität im Sinne von Szenepräsenz. Lebensweltorientierung: SW geht flexibel auf die spezifischen Lebenslagen ihrer Adressaten ein. Dabei hat sie insbesondere Bedarfe aufgrund von Geschlecht, Migrationshintergrund, sozialer Lage, sexueller Orientierung und Behinderung im Blick. Flexibilität: SW formuliert gemeinsam mit den Adressaten realistische Ziele, entwickelt Problemlösungen und Zukunftsperspektiven. Dabei stellt sie sich flexibel auf kurzfristige Veränderungen und neue Bedarfslagen ein und bleibt ergebnisoffen. Praxis: Streetworkarbeit findet im öffentlichen Raum statt. Junge Menschen werden an ihren Aufenthaltsorten im Sozialraum Mitte-Nord zu unterschiedlichen Zeiten aufgesucht und angesprochen. „Hotspots“ sind im beschriebenen Fördergebiet das Gelände um das Stadtcenter, der Kaiserplatz, der Langemark-, Theodor-Heuss-, Konrad-Adenauer-, Holzbenden- und Nordpark sowie die Straßenzüge rund um die Alte und Neue Jülicher Straße. Häufig werden hier Jugendliche und junge Erwachsene angetroffen, denen jegliche Perspektive und Halt abhandengekommen sind. Die Ansprache gestaltet sich mitunter schwierig, da grundsätzlich eine große Skepsis gegenüber „Fremdem“ vorherrscht. Da sich dieses Klientel häufig in größeren Gruppen formiert, wird es im Stadtbild als problematische Gruppe wahrgenommen. Das unangemessene soziale Verhalten ist oftmals das Resultat einer sich manifestierenden Perspektivlosigkeit. Hintergründe sind individuelle bzw. gesellschaftsbedingte Problemlagen wie Schulmüdigkeit, Jugendarbeitslosigkeit, Überschuldung, zunehmende Armut, Alkohol und/oder Drogenkonsum und der Zusammenbruch familiärer Strukturen. Diese oft traumatisierten jungen Menschen sind aufgrund ihrer Biografie nicht in der Lage, die an sie gestellten Anforderungen zu bewältigen. Streetwork ist oftmals die letzte Möglichkeit, diesen Personenkreis vor dem Absturz in Suchtverhalten, Wohnungslosigkeit und Delinquenz zu bewahren. Um eine dauerhafte Veränderung der Lebenssituation zu erreichen, oder bestenfalls eine Perspektive im Bereich Wohnen und Arbeiten herzustellen, bedarf es oftmals viel Zeit und Geduld. Streetwork ist Beziehungsarbeit. Erst die Atmosphäre des gegenseitigen Vertrauens eröffnet Möglichkeiten einer Veränderung. Diese Phase der Begleitung ist geprägt von gegenseitigem Respekt, Wertschätzung, Freiwilligkeit und Verbindlichkeit. Unter Hinzuziehung weiterer Kooperationspartner wie JobCom, InVia, Drogenberatungsstelle, Psychologische Beratungsstellen, Offene und Mobile Jugendarbeit, Schulsozialarbeit und Ordnungsamt können so passgenaue Hilfsangebote hergestellt werden. In einem weiteren Schritt kann ein Clearing- und Case-Managementverfahren von den Kolleginnen des Sozialwerks Dürener Christen in den Räumlichkeiten von JUST Nord umgesetzt werden, d.h. es kommen kurzfristig angelegte individuelle sozialpädagogische Beratungs-und Unterstützungsmaßnahmen zur Anwendung, gefolgt von einer intensiven Einzelfallarbeit und Begleitung über bestimmte Lebens- und Entwicklungsabschnitte hinweg. Auf diese Art und Weise wurden in den letzten beiden Jahren im Projekt JUGENDSTÄRKEN im Quartier 161 junge Menschen erreicht. 55, 3 % der Jugendlichen und jungen Erwachsenen konnte mit Erfolg in berufsvorbereitende Maßnahmen, Schule und Ausbildung vermittelt werden. Fallbeispiel: Dennis (19): Zu Beginn unserer Zusammenarbeit ging Dennis bereits seit 2 Jahren nicht zur Schule. Ein Mitarbeiter der jobcom bat mich zu einem Gespräch mit Dennis dazu, da er Potential in dem Jungen sehe und JUST Nord eine Möglichkeit wäre dieses aus ihm heraus zu kitzeln. Dennis willigte ein an Gesprächen und Treffen mit mir teilzunehmen, aber sagte deutlich, dass das Thema Schule tabu sei. Also sprachen wir über Fußball, Freunde und Familie. Mehrere Monate mieden wir das Thema Schule, Arbeit und Praktikum, bis Dennis eines Tages von sich aus damit ankam. „Was gibt’s denn da für Möglichkeiten?“ fragte er mich und wir schauten uns gemeinsam um. Ohne Druck, ohne Zeitnot. Er konnte sich die Zeit nehmen die er brauchte um hier anzukommen. Ein so schwieriges Thema wie Schule und Leistung miteinander zu besprechen benötigt eine stabile Beziehung. Die jungen Menschen müssen sich wohl fühlen, das Gefühl haben ihr Gegenüber nimmt sie mit ihren Ängsten und Sorgen ernst. Auch Dennis hat das Gefühl ständig zu versagen. Schule bedeutet Leistungsdruck und wenn er den Erwartungen nicht gerecht wird zeigt das einmal mehr wie dumm und wertlos er ist. Dieses tiefsitzende Gefühl von Abwertung auf zu brechen braucht viel Zeit und Beziehungsarbeit. Nach zahllosen Kontaktabbrüchen schaffte es Dennis irgendwann mit Hilfe der Kollegen des lern.punkt sein Ziel Schulabschluss wieder in Angriff zu nehmen. In der Zeit, in der er die vereinbarten Termine nicht mehr wahrnahm und sich zu entziehen versuchte war es wichtig an ihm dran zu bleiben. Ich habe ihn auf der Straße aufgesucht, bin in seine Lebenswelt eingetaucht um zu verstehen was gerade für ihn wichtig und an welchem Punkt der Veränderung er gerade steht. Ich habe ihn immer und immer wieder versucht zu motivieren und damit eine Situation geschaffen die er so noch gar nicht kannte: Ich bin wichtig! Ich bin wertvoll! Heute besucht Dennis den lern.punkt und ist Teil dieser Gemeinschaft. Er ist auf einem guten Weg der noch etliche Stolpersteine für ihn bereithalten wird. Ich bin sicher Dennis noch ein gutes Stück seines Weges begleiten zu dürfen. Eben solange wie er das möchte.