Stadtrat Aachen: Twittern nicht erlaubt?

Die Aachener Nachrichten berichten, dass es aus dem Aachener Stadtrat keine Twitter-Meldungen mehr während der laufenden Sitzungen geben soll, auch wenn es letztlich wohl kein Verbot ist, sondern nur eine „Missbilligung“. Die Diskussion in Aachen rund um das Twittern aus dem Stadtrat – in Langerwehe schon längst nichts neues mehr – hatte ich zum Anlass genommen, eine Änderung der Geschäftsordnung vorzuschlagen, um das Twittern (und sonstige Berichte) in Langerwehe rechtlich in feste Bahnen zu lenken. Dabei gab es bei uns in Langerwehe allerdings auch nie Probleme wie in Aachen: Die twitternden Ratsmitglieder (u.a. ich selbst) haben bisher ausnahmslos sachlich berichtet und „persönliche Stilnoten“ weg gelassen. Insofern ist in Langerwehe auch keine „reglementierung“ nötig, sondern vielmehr geht es darum, offensiv und zukunftsorientiert die Ratsarbeit zu gestalten. Den Antrag findet man unten als Download, in der nächsten Rats-Sitzung wird sich wohl damit beschäftigt werden.

Hinsichtlich der Entscheidung aus Aachen – die ich im Kerngehalt respektiere und würdige – sehe ich allerdings einige kritische Aspekte, die ich hier kurz klarstellen möchte:

  1. Der „Quasi-Live-Bericht“ aus Rats-Sitzungen wird in den nächsten Jahren zum Standardfall werden. Ich verstehe die Zurückhaltung bei den einzelnen Mitgliedern eines Stadtrates sehr gut und rede hier ausdrücklich nicht dagegen. Aber die Rechtsprechung geht einen neuen, einen anderen Weg. So hat das VG Saarlouis (3 K 501/10) sowie OVG Saarland (3 B 203/10 und 3 B 2031/10) entschieden: Ein (privater) Rundfunkveranstalter hat grundsätzlich einen aus dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit herzuleitenden öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Videoaufzeichnung von Gemeinderatssitzungen zu Sendezwecken. Und auch wenn man in öffentlicher Sitzung Zuschauer hat, finde ich es sehr schwierig, denen „Live-berichte“ zu untersagen, insbesondere wenn (wie üblich) die ansonsten anwesende Presse hofiert wird. Aktuell kann man sich noch verweigern, es ist aber auf mittelfristige Sicht absehbar, dass das nicht mehr erfolgreich sein wird.
  2. Ich hatte es gerade schon angesprochen: Zuschauern das Twittern zu verbieten, wird rechtlich sehr, sehr schwer werden. Parteien wird es m.E. ein leichtes sein, eventuell bestehende Regeln kinderleicht durch Zuschauer (oder einen Gang zur Toilette) zu unterbinden.
  3. Etwas, dass ich aus Langerwehe gar nicht kenne, aber natürlich sehr satirisch ist, ist die Sorge um Twitter – zugleich aber das Telefonieren während der Sitzung. Michael Servos (ein Ratsmitglied aus Aachen) berichtet in seinem aktuellen Beitrag zum Thema über einen solchen Vorfall.
  4. Wenn darauf verwiesen wird, dass Rechner & Co. nichts in Stadträten verloren hätten, da man sich dann hinter seinem PC „versteckt„, zeugt das m.E. von fehlender Voraussicht: Digitale Ratsinformationssysteme sind auf dem Vormarsch, zunehmend arbeiten Ratsmitglieder mit digitalen Unterlagen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis alleine aus dem grund die meisten Ratsmitglieder mit digitalen Utensilien im Rat sitzen und arbeiten.
  5. Zum Abschluss mein schwerwiegendstes Argument gegen die „Twitter-Phobie“: Der Artikel der AN dient hier als bestes Beispiel. Wer den Artikel nämlich liest, stellt fest, dass dort Informationen aus einer nicht-öffentlichen Sitzung des Stadtrats Aachen thematisiert werden. So musste natürlich gezielt der Presse gesteckt werden, dass „Michael Servos sich entschuldigt haben soll“. Angesichts solcher Indiskretionen – immerhin dient die nicht-Öffentlichkeit auch dazu, die freie Rede der Ratsmitglieder zu schützen – die leider auch zum politischen Alltag gehören, ist es doch etwas befremdlich, Panik davor zu haben, dass quasi Live aus öffentlicher Sitzung berichtet wird.

Insgesamt sollte man sicherlich auch bedenken, dass die ganze Diskussion eher eine Phantom-Diskussion ist. Ob man um 18.10h aus dem Rat live twittert, oder um 19.30h dazu etwas schreibt, wenn die Sitzung vorbei ist – ich sehe nicht ganz die Ursache der Aufregung. Letztlich bin ich davon überzeugt, dass der sachliche Bericht aus der Sitzung mittelfristig faktisch und rechtlich nicht zu verhindern ist. Auch müssen sich Mitglieder – zumindest grösserer Gemeinderäte – fest darauf einstellen, dass die Arbeit im Gemeinderat in den nächsten 10 Jahren erheblich öffentlicher werden wird. Gerade lokale Fernsehsender werden, neben den „neuen Medien“, hierfür sorgen.

Das bedeutet bei weitem nicht, dass man alles hinnehmen muss – Grenzen müssen gezogen werden, gerade auch, um diejenigen, die ihre Freizeit und Energie in den Gemeinderat stecken, zu schützen und ihren Wunsch, nicht öffentlich bloßgestellt zu werden, zu respektieren. Ein Verbot tut aber gerade dies nicht. Wichtiger ist es, gemeinsam zu erarbeiten, wo Grenzen liegen sollen, wo Grenzen liegen müssen – und diese dann in ein verbindliches Regelwerk zu gießen. Jedenfalls der sachliche Bericht aus Ratssitzungen sollte immer möglich sein. Zu verhindern ist aber auch ein Anblick, bei dem gefühlt der gesamte Gemeinderat mit dem Handy in der Hand da sitzt, und kaum mehr an der Sitzung teilnimmt. Ich denke, wir haben in Langerwehe in den letzten 1,5 Jahren gezeigt, dass das problemlos möglich ist.

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